Titus Brandsmas Sicht auf den Tierschutz

Comment (German) on ‘Dierenbescherming in het schoolprogram

by Kirstin Zeyer

 

Titus Brandsmas Sicht auf den Tierschutz und die Gemeinschaft der Geschöpfe nach Laudato Si’

Kirstin Zeyer[1]

 

Vor über zwei Jahren, im April 2016, titelte die FAZ: „Der Trend geht zur sauberen Frontscheibe. Die Zahl der Insektenarten ist in Deutschland drastisch gesunken“.[2] Laut dem NABU – Naturschutzbund Deutschland e.V. ist allein in Nordrhein-Westfalen „in den vergangenen 15 Jahren die Biomasse der Fluginsekten um bis zu 80 Prozent zurückgegangen“.[3]

Stille Wiesen! Darunter leidet die Artenvielfalt und das Klima. Wie konnte das geschehen? Überdüngung, Monokulturen, Flächenverbrauch, Landnutzungswandel, Pestizideinsatz und auch Windenergierotoren werden als Ursachen genannt. Ist das alles nicht viel zu komplex? Wer überblickt das noch? Sind wir angesichts der globalen Umweltprobleme nicht viel zu winzig und unvermögend, etwas zu ändern? Hierauf hält Hilal Sezgin, die mit ihrem Buch Artgerecht ist nur die Freiheit (2014) als Tierethikerin bekannt geworden ist, in ihrem für Kinder ab 12 Jahren verfassten Buch Wieso? Weshalb? Vegan! Warum Tiere Rechte haben und Schnitzel schlecht für das Klima sind eine erste Antwort parat: „Das schlimmste wäre zu meinen, dass man hilflos ist: Ich bin nur einzelne Person, ich kann eh nichts tun …“[4] Sezgin lässt der Resignation keinen Raum, im Gegenteil betont sie, jeder könne etwas tun und zusammen mache dies vielleicht sogar mehr Spaß. Ihre Kronzeugin ist das berühmte jüdische Mädchen Anne Frank, das mit ihrer Familie in den Niederlanden vor den Nazis versteckt worden war und das in ihr Tagebuch die folgende Einsicht notierte: „Wie schön, dass keiner von uns auch nur einen Moment warten muss, um die Welt ein klein wenig zu verbessern.“[5]

„Dem Tier möge sein hoher, sein schöner Platz in unserem Leben gewährt werden!“ Titus Brandsmas Rede zum Tierschutz im Schulunterricht

Motivation statt Resignation, das entsprach auch der Haltung des Namensgebers des Titus Brandsma Instituts: Der 1881 im niederländischen Friesland geborene und 1942 im KZ Dachau zu Tode gekommene katholische Widerständler Titus Brandsma war Karmelit und Professor für Philosophie und Geschichte der Mystik an der damaligen katholischen Universität Nijmegen. Nur wenige Jahre vor Erscheinen des päpstlichen Rundschreibens Laudato Si’ wurde anlässlich der Titus Brandsma Lesung im Jahre 2011 ein Plädoyer für eine neue Beziehung zum Land bzw. zur Natur, die uns umgibt, gehalten.[6] Darin wird die Mitarbeit von Titus Brandsma im Tierschutz in Erinnerung gerufen, insbesondere seine Rede zum Tierschutz im Schulunterricht vom 13. Mai 1936, die 1953 veröffentlicht wurde. Am 4. Oktober 1936 hielt er eine weitere Rede im niederländischen Radio, in der er ein neues Tierschutzgesetz forderte. Tierfreunde wissen vielleicht, dass der 4. Oktober der Namenstag von Franziskus von Assisi ist, der schon in jener Zeit als Welttierschutztag gefeiert wurde.

Bevor auch wir uns die Rede bzw. den Text von Titus Brandsma etwas näher ansehen wollen, sei noch die Besonderheit erwähnt, dass eine friesische Tageszeitung den Namen Titus Brandsma neben seinem Einsatz für die Pressefreiheit während der deutschen Besetzung sowie für die friesische Sprache in erster Linie mit der Mitbegründung der bis heute bestehenden Naturschutzorganisation der Provinz Friesland (It Fryske Gea – Het Friese Landschap) in Verbindung bringt; erst an zweiter Stelle wird angefügt, Titus Brandsma sei ferner, außerhalb von Fryslân, auch bekannt als Professor für Mystik an der Universität Nijmegen sowie als Förderer des katholischen Sekundarunterrichts.[7] Es gibt also gute Gründe, den im Naturschutz aktiven Mystikprofessor als Ansprechpartner in der Frage nach der Gemeinschaft der Geschöpfe ernst zu nehmen.

Auffallend ist bereits der Kontext, in dem die Rede steht, wurde sie doch zuerst im Mai 1936 vor der Arbeitsgruppe „Tierschutz und Erziehung“ („Dierenbescherming en Opvoeding“) des niederländischen Tierschutzes gehalten, der zugleich Herausgeber der für den Welttiertag bestimmten Broschüre war. Zwar steht der erzieherische Aspekt im Mittelpunkt, aber gerade die einführenden Betrachtungen erinnern an das „Lob Gottes“, wie es bereits in der Renaissance Nicolaus Cusanus verstand, wenn es darin heißt, dass wir beim Bewundern der wundersamen Ordnung und Schönheit der Natur nicht stehen bleiben, sondern dass der Blick unseres räsonierenden Verstandes höher und tiefer geht und wir die Bewunderung auf Ihn übertragen, der alles geschaffen hat und alles instand hält.[8]

Mit diesem Gott und Welt betreffenden Verhältnis liebender Zuwendung ist auch der Rahmen abgesteckt, in dem der Mensch bzw. eine Gemeinschaft aller Geschöpfe zu denken ist. Der Mensch preist, indem er die Schöpfung lobt, den Schöpfer. Das ist gut cusanisch gedacht, insofern sich der Schöpfer in der Schöpfung spiegelt. Es geht hierbei gewissermaßen um das Entdecken oder Eröffnen unzähliger Möglichkeiten, um immer neue und weitere, noch genauere, treffendere Gottesnamen zu finden oder zu erfinden.

Titus Brandsma selbst greift auf das berühmte romantische Gedicht von Guido Gezelle über Het Schrijverke (1857) zurück, das von dem Taumel- bzw. Dreh- oder Kreiselkäfer handelt, der – so könnte man sagen – wie ein Derwisch seine Kreise auf dem Wasser zieht. Nach seinem Namen: ‚schrijvertje‘, also etwa ‚Schreiberlein‘, befragt, antwortet der Wasserkäfer schließlich: „Wir schreiben und schreiben wieder und wieder den heiligen Namen Gottes!“[9]

Auf spielerischerbauliche Weise wird die Aufmerksamkeit auf die Natur gelenkt, aber doch so, dass sich der Betrachter auch wieder rückbesinnt: „Wir sollten nicht“, so heißt es weiter, „an der Natur vorbeigehen, als hätte sie uns nichts zu sagen. Wir können so sehr die herrliche Natur genießen, aber wir sollten dabei auch, nachdem wir zunächst die Ohren gespitzt hatten, unseren Verstand sprechen lassen.“[10] Verständig lesen und studieren wir das ‚Buch‘ der Natur, was für Brandsma durchaus den Gebrauch des Mikroskops, etwa zur Entdeckung des Atoms als einer Welt für sich, einschließt: Auch Cusanus, für den der Mensch als Welt für sich einen Mikrokosmos darstellt, empfahl übrigens die Verwendung des farblosen Edelsteins Beryll, also einer Brille, um damit noch genauer zu sehen. Es gibt in der Natur somit nichts, wie unscheinbar oder flüchtig auch immer, was wir nicht bewundern müssen, was uns nicht, um mit Aristoteles zu sprechen, ‚staunen‘ lässt.

Zu den merk-würdigen („merkwaardig“) Dingen gerechnet wird in der Rede aus dem Jahr 1936 die Tatsache, dass Gott außer dem Menschen auch das Tier schuf, ein Wesen, das mit dem Menschen die sinnliche Wahrnehmung teilt, das sinnlich genießen und auch Schmerzen verspüren kann. Und zwar nicht, damit sie leiden, so die erzieherische Argumentation, die den Verstand einzuschalten gemahnt, sondern damit die Tiere Dank des ihnen verliehenen Gefühls diese Gabe zur Quelle des Genusses und damit ihr Dasein schöner machen können.

Dass dieser Gedanke von ökologischer Bedeutung ist, lässt sich mittels einer verwandten cusanischen Ansicht unterstreichen. Der Cusanusforscher Hans Ferdinand Linskens, der bis 1986 Professor für Botanik an der Universität Nijmegen gewesen ist, macht auf den Gedanken der Anpassung an spezifische Biotope aufmerksam. Dieser Gedanke komme etwa in Cusanus’ Beispiel vom Maulwurf zum Ausdruck, „der für sein Leben unter der Erde keiner visuellen Kommunikation bedarf, weil ‚alle Lebewesen so viele Erkenntnisbilder aus dem Sinnenfälligen schöpfen, wie ihnen für ihr Wohlbefinden notwendig sind‘ (Compendium, VI).“[11] Entwicklung, Entfaltung, Vervollkommung: diese Begriffe scheinen der Sache oder Voraussetzung nach weder Cusanus noch Titus Brandsma in ihrer Anwendung auf Tiere fremd zu sein.

Wie verhält es sich nun aber mit dem Menschen, der die mit Sinneswahrnehmung begabten Wesen an Fähigkeiten übertrifft? Steht diesem an der Spitze der Schöpfung stehenden Wesen nicht aufgrund seiner besonderen Stellung alles andere zu? Auch Titus Brandsma zufolge ist der Mensch als ein „König der Schöpfung“ zu verstehen, aber er schränkt sogleich in dem – Verantwortung einschließenden – Sinne ein, dass der Mensch mit Vernunft und Verstand, mit Einsicht und edlen Neigungen, geschaffen sei. So wie Gott die Tiere mit den Gefühlen der Güte und Liebe schuf, so müssen wir auch mit Güte und Liebe von unserer Macht über die Tiere Gebrauch machen.

Dieser Überlegung liegt die Überzeugung zugrunde, dass man die Liebe zur Natur wecken und damit zugleich den Schutzgedanken motivieren könne, wo immer dem Tier unnötiges Leid angetan wird. Tierschutz werde auch von Thomas von Aquin nicht bloß negativ gesehen in dem Sinne, dass Härte gegenüber Tieren auch den Menschen verhärte, Grausamkeit gegenüber Tieren auch den Menschen grausam mache, weshalb wir gut zu den Tieren sein sollten. Vielmehr werde Tierschutz auch positiv gedeutet, indem wir zu den Tieren gut sein müssen, weil sich aus der Wohltat ihnen gegenüber eine veredelnde Folge für die Erziehung und Entwicklung unserer Natur ergibt.

Tierethiker werden sich bei der angeführten negativen Argumentation an das Kantische ‚Verrohungsargument‘ erinnert fühlen.[12] Eine nicht zu übersehene ethisch-kantische Position markiert ferner der starke Appell an unsere Verantwortung, der wir uns ja als ‚König der Schöpfung‘ auch kaum entziehen können oder wie Titus Brandsma selbst nicht ohne Humor im Hinblick auf unsere „Verpflichtungen“ bemerkt: „Noblesse oblige.“ Von Moses, Paulus oder Theodoret von Kyrrhos stammen die Worte, auf die sich ein ganz modernes Anliegen stützt, nämlich plausibel zu machen, dass „im Tierschutz für den Menschen ein großes Eigeninteresse liegt“, vor allem im Hinblick auf die Erziehung der Kinder, weshalb man dem Tierschutz Kraft eines Beschlusses der Regierung fortan in der Schule Aufmerksamkeit schenken müsse. Tierschutz als Teil des Schulprogramms lautet kurz zusammengefasst die höchst konkrete Forderung des Karmeliten, der seine Rede mit der Forderung beschließt: „Dem Tier möge seine hoher, sein schöner Platz in unserem Leben gewährt werden!“[13]

Der bis in die 2. Hälfte des 19. Jhs zurückreichende Gedanke, Tierschutzfragen in die Unterrichtsfächer zu integrieren, ist heute so aktuell wie damals, wie z.B. das Projekt der Ärzte gegen Tierversuche e.V. in Deutschland zeigt[14], oder die Forderung nach Natur- und Umwelterziehung seitens der niederländischen Partij voor de dieren[15].

Die Gemeinschaft der Geschöpfe nach Laudato Si’

Einen erzieherischen Anspruch wird man auch dem päpstlichen Rundschreiben Laudato Si’ kaum absprechen, dessen Standpunkt zu den Tieren ich nun abschließend kurz umreißen möchte.

Laudato Si‘ steckt den Rahmen freilich breiter ab. Die für globale Verantwortung werbende Enzyklika ist keineswegs gleichbedeutend mit einer Tierschutzfibel oder gar einer einschlägigen tierethischen Position. Wie das Titus Brandsma Institut dann auch in seiner Handreichung zum Rundschreiben Laudato Si’ festgehalten hat,[16] geht es hier in erster Linie um den Zusammenhang zwischen den globalen ökologischen Problemen und der für unsere Welt charakteristischen sozialen Ungerechtigkeit. Konkret stellt sich damit die Frage, wie Christen aus ihrem Glaubensleben heraus einen Beitrag zur globalen Sorge für das ‚gemeinschaftliche Haus‘ aller Menschen leisten können, hängt doch für Papst Franziskus das Unrecht, das wir der Erde und der Natur antun, direkt zusammen mit den ungerechten Verhältnissen im Menschlichen. Die ökologische Krise ist auch eine soziale Krise, was nicht zuletzt auf den mangelnden Sinn für das Übernehmen von Verantwortung zurückzuführen ist. Im konkreten Handeln des Menschen liegt Verantwortung, und hier liegt zugleich die Möglichkeit, aus der christlichen Spiritualitätstradition heraus die Krise zu überwinden und zu einem positiven Verhältnis zur Erde zu gelangen. Ohne auf die einzelnen Punkte hier näher eingehen zu können, benennt die Handreichung des Titus Brandsma Instituts drei Themen des Rundbriefs, die den Ausgangspunkt für das Glaubensgespräch bilden können: „Die Erde als Gabe“, „Sorge für das Haus“ und „Unser gemeinsames Haus“.

Bereits der titelgebende Lobgesang ‚Laudato Si’‘ führt auf Franziskus von Assisi und mit ihm – wie die zeitgenössischen Schilderungen überliefern – auf einen Behüter der Tiere zurück. Seiner Aufforderung, die „Natur als ein prächtiges Buch zu erkennen, in dem Gott zu uns spricht“ folgt eine Anweisung, nämlich „im Konvent immer einen Teil des Gartens unbebaut zu lassen, damit dort die wilden Kräuter wüchsen und die, welche sie bewunderten, ihren Blick zu Gott, dem Schöpfer solcher Schönheit erheben könnten.“[17]

Gilt auch Albertus Magnus als derjenige, der zuerst anstelle eines Nutzgartens einen reinen Garten für die Erholung beschrieb,[18] so scheint ihm Franziskus von Assisi darin doch zuvor gekommen zu sein. Für den modernen Stadtgärtner ist damit ein praktischer Rat gegeben: Lässt man einen Teil der wilden Kräuter stehen, die man heute u.a. unter der fragwürdigen Bezeichnung ‚Unkraut‘ bekämpft, dann bietet man den Insekten auf denkbar einfache Weise ein Refugium. Brennnessel etwa, um nur ein einzelnes Beispiel herauszugreifen, gilt als eine Futterpflanze für die Raupen von zahlreichen Schmetterlingsarten.

Im zweiten Kapitel (Nr. 66) wird die Harmonie, in der Franziskus von Assisi mit allen Geschöpfen lebt, sogar ausdrücklich als Heilung des Bruches bezeichnet, der aufgrund unserer Anmaßung, den Platz Gottes einzunehmen, die Harmonie zwischen dem Schöpfer, der Menschheit und der gesamten Schöpfung zerstörte. So war der Auftrag, uns die Erde „untertan“ zu machen, sie zu hüten und zu bebauen, wie er sich im Buch Genesis findet, offenbar nicht gemeint. Es überrascht demnach auch nicht, dass mit Nachdruck zurückgewiesen wird, „dass aus der Tatsache, als Abbild Gottes erschaffen zu sein, und dem Auftrag, die Erde zu beherrschen, eine absolute Herrschaft über die anderen Geschöpfe gefolgert wird“ (Nr. 67), wie es im Rundschreiben weiter heißt. Den Garten der Welt zu „bebauen“ und zu „hüten“ meine ihn zu kultivieren, zu pflügen oder zu bewirtschaften, ihn ferner zu schützen, zu beaufsichtigen, zu bewahren, zu erhalten und zu bewachen. Der Schwerpunkt dieser Auslegung liegt auf Nachhaltigkeit und Verantwortung, zwei Orientierungen, die auch im Hinblick auf die Tiere als Teil der Natur geltend gemacht werden. So finden sich etwa Bibelzitate dazu, wie man verantwortlich mit Ochse und Esel umgeht, vielleicht nicht zufällig gerade auch die Beispiele, deren sich Titus Brandsmas Rede bedient, wenn es darum geht, zu zeigen, dass die „Bibel keinen Anlass gibt für einen despotischen Anthropozentrismus, der sich nicht um die anderen Geschöpfe kümmert“, wie es im Rundschreiben (Nr. 68) heißt.

Ein Beispiel dazu aus dem Rundschreiben:

„‘Du sollst nicht untätig zusehen, wie ein Esel oder ein Ochse deines Bruders auf dem Weg zusammenbricht. Du sollst dann nicht so tun, als gingen sie dich nichts an […] Wenn du unterwegs auf einem Baum oder auf der Erde zufällig ein Vogelnest mit Jungen oder mit Eiern darin findest und die Mutter auf den Jungen oder auf den Eiern sitzt, sollst du die Mutter nicht zusammen mit den Jungen herausnehmen‘ (Dtn 22,4.6). Auf dieser Linie wird die Ruhe am siebten Tag nicht nur für den Menschen vorgeschrieben, sondern auch, ‚damit dein Rind und dein Esel ausruhen‘ (Ex 23,12).“

Mit Moses und Paulus führt auch Titus Brandsma ein Gebot an: „dat men een dorsende os niet moet muilbanden“ bzw. „man soll dem Ochsen, der da drischt, das Maul nicht verbinden“, weil man ihm nämlich ansonsten den Genuss der Speise, die er riecht und in deren Überfluss er ja herumläuft während des Dreschens, unmöglich macht. Die Aufmerksamkeit oder der erzieherische Anspruch gilt auch hier wiederum nicht ausschließlich den Tieren, sondern den Menschen, für die das Gebot in erster Linie gemacht worden sei. Freilich habe Gott auch das Wohlbefinden der Ochsen im Auge gehabt, so Titus Brandsmas Argumentation, doch dieses Gebot bezwecke vielmehr, dass der Mensch hieraus lernen solle und jedes Mal erinnert werde, dass ‚ein Arbeiter seines Lohnes wert ist‘, wie es in der Bibel heißt, dass also, wenn man diesen Lohn dem Tier nicht vorenthält, man ihn sicher auch nicht dem Menschen vorenthalten bzw. hart zu ihm sein darf.

Nicht nur in biblischen Zeiten, sondern nach wie vor gibt es weltweit große Missstände zu bekämpfen und zu beseitigen, was die Misshandlungen von ‚Nutz‘- und ‚Arbeitstieren‘ wie Ochsen und Eseln, Pferden usw. betrifft. Deshalb ist es auch nicht überflüssig, darauf im Rahmen von Laudato Si’ hinzuweisen, dass die „anderen Lebewesen vor Gott einen Eigenwert besitzen“ (Nr. 69), dass sie sich von ihm ohne Ausnahme geliebt wissen dürfen und dass jedem von ihnen ein Platz in der Welt zukommt. Aus den angeführten Beispielen wurde aber auch deutlich, dass es gleichzeitig um Lerneffekte und Einsichten des Menschen in Fragen des Umgangs der Menschen untereinander bzw. der sozialen Gerechtigkeit geht. Auf einfache Weise helfen diese und andere Beispiele zu verdeutlichen, dass und wie ein Zusammenhang besteht zwischen der Aufgabe des Tier- und Umweltschutzes und der Frage sozialer Gerechtigkeit.

Mit einem Zitat und Appell aus Laudato Si’ (Nr. 92), das sich im fünften Abschnitt des 2. Kapitels zur ‚universalen Gemeinschaft‘ findet und das die Wichtigkeit dieses Zusammenhangs unter einem erzieherischen Aspekt betont, der vor genau 80 Jahren auch die Rede von Titus Brandsma über den Tierschutz charakterisierte, möchte ich schließen:

„Wenn andererseits das Herz wirklich offen ist für eine universale Gemeinschaft, dann ist nichts und niemand aus dieser Geschwisterlichkeit ausgeschlossen. Folglich ist es auch wahr, dass die Gleichgültigkeit oder die Grausamkeit gegenüber den anderen Geschöpfen dieser Welt sich letztlich immer irgendwie auf die Weise übertragen, wie wir die anderen Menschen behandeln.“

 


  1. Published in: Coincidentia (ISSN 1869-9782), Vol. 9/2 (2018), 385-395.
  2. Das globale Insektensterben bestätigte zu Beginn 2016 eine internationale Studie des Weltbiodiversitätsrat. Christian Schwägerl, „Der Trend geht zur sauberen Frontscheibe“. FAZ v. 17.4.16. Online unter: http://www.faz.net/aktuell/wissen/leben-gene/immer-weniger-insekten-in-deutschland-14173292.html.
  3. NABU – Naturschutzbund e.V.: Dramatisches Insektensterben. Rückgang um 80 Prozent in Teilen Deutschlands. Online unter: https://www.nabu.de/news/2016/01/20033.html.
  4. Hilal Sezgin, Wieso? Weshalb? Vegan! Warum Tiere Rechte haben und Schnitzel schlecht für das Klima sind, Frankfurt am Main 2016., 12.
  5. Zitiert nach Sezgin (a.a.O.).
  6. Wim van der Donk, „Pleidooi voor een nieuwe relatie met het land dat ons omgeeft“. Titus Brandsma lezing 2011. Online: https://wp.titusbrandsmainstituut.nl/nl/publicaties/videos/
  7. „Brandsma is ook een van de oprichters van de natuurbeschermingsorganisatie It Fryske Gea. Buiten Fryslân is hij verder bekend als hoogleraar mystiek aan de Katholieke Universiteit Nijmegen en als bevorderaar van het katholiek middelbaar onderwijs.“ J. van der Boon, Museum over veelzijdige katholieke verzetsheld opent deuren in Bolsward. Friesch Dagblad vom 28. Mai 2003.
  8. „Als wij de natuur bewonderen en haar wondere orde en schoonheid, dan blijven wij niet daarbij staan, maar gaat de blik van ons redenerend verstand hoger en dieper en brengen wij die bewondering over op Hem, die dat alles heeft gemaakt en steeds in stand houdt.“ Titus Brandsma, Dierenbescherming. (Werelddierendag 4 October) , s.l., [1953], 3. Deutsche übersetzung: Brandsma, Titus, „Tierschutz im Lehrplan (1936)“, in: Titus Brandsma. Mystik und Martyrium. Ausgewählte Texte. Hg., eingeleitet und übers. v. Elisabeth Hense. Münster 2018, 113-122.
  9. „Wij schrijven, herschrijven en schrijven nog, den heiligen Name van God!“ So lautet der Schluss des Gedichts von Gezelle (aus: Vlaemsche dichtoefeningen, 1858). Ich folge hier der dt. Übersetzung von Elisabeth Hense: Tierschutz im Lehrplan, 115.
  10. „Wij moeten niet aan de natuur voorbijgaan, alsof zij ons niets te zeggen had. Wij kunnen zo heerlijk genieten van de natuur, maar wij moeten daarbij ook ons verstand laten spreken, na het eerst te luisteren te hebben gelegd.“ Brandsma, Dierenbescherming, 3-4.
  11. Hans Ferdinand Linskens, „Nicolaas Chrypffs van Cusa als bioloog“ (Abschiedsvorlesung vom 23. Mai 1986. Hg. Katholieke Universiteit Nijmegen 1986, 38 S.), 53; vgl. die vom Verfasser genehmigte dt. Übers. von K. Zeyer: Linskens, Hans Ferdinand: Nikolaus Chrypffs von Kues als Biologe. In: Litterae Cusanae (Dezemberausgabe): Informationen der Cusanus-Gesellschaft. Hg. von Wolfgang Lentzen-Deis / Klaus Reinhardt. Band 6, Heft 2, Regensburg 2006, 49-62.
  12. Vgl. hierzu den Beitrag: „Wer Tiere quält, der quält auch Menschen!“ von Heike Baranzke im vorliegenden Heft.
  13. „Aan het dier zijn hoge, zijn mooie plaats in ons leven!“ (Brandsma, Dierenbescherming, 8; deutsch von Elisabeth Hense: Tierschutz im Lehrplan, 122.)
  14. Siehe online unter https://www.tierschutz-in-der-schule.de/.
  15. Siehe online unter: https://www.partijvoordedieren.nl/standpunt/natuur-en-milieueducatie.
  16. Vgl. I. Bocken / J. Bos / H. Westerink / K. Zeyer, „Laudato Si’ – Uitnodiging tot geloofsgesprek. Handreiking Laudato Si’“, veröff. 1. 9. 2015, in: Missionaire agenda. Werkschrift voor missie, ontwikkeling en vredeswerk 33/3, 9-11.
  17. Enzyklika Laudato Si’ von Papst Franziskus über die Sorge für das gemeinsame Haus. Libreria Editrice Vaticana / hg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz. Bonn 2015, hier: Einleitung, Pragraph 12.
  18. Vgl. Stephanie Hauschild, Die sinnlichen Gärten des Albertus Magnus., Ostfildern 2005.

 

© Kirstin Zeyer / Titus Brandsma Instituut 2019